Gut verstecktes Diebesgut, so betitelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 14. Mai 2009 ihren Bericht über die Ausstellung des sensationellen „Anklamer Münzschatzes“, der eigentlich besser „Schatzfund“ heißen müsste. Es handelt sich nämlich nicht nur um 2579 Münzen, sondern auch um eine Reihe von silbernen und goldenen Schmuck- und Gebrauchsgegenständen wie Gewandapplikationen und Anhängern für Zunftpokale. Neben der FAZ war der Schatz Gegenstand einer breiten Berichterstattung in zahlreichen Medien.
Ergebnis zielgerichteter Stadt-Archäologie
Archäologie ist die Suche nach Spuren und Gegenständen früherer menschlicher Kulturen. Der Suche nach diesen Hinterlassenschaften dienen Ausgrabungen an kulturgeschichtlich interessanten Plätzen, weil im Erdboden häufig Überreste über lange Zeiträume konserviert bleiben. Die Altstadt Anklams ist deshalb als Bodendenkmal im Sinne des Denkmalschutzgesetzes geschützt. Bodeneingriffe sind zwingend mit einer fachgerechten archäologischen Untersuchung verbunden.
Die Ausgrabung ist zwar die bekannteste Forschungsmethode, jedoch nur ein kleiner Teilbereich der archäologischen Arbeit. Die Dokumentation, Auswertung, Konservierung und Archivierung der Funde stellt den weitaus größten Teil der archäologischen Tätigkeit dar.
Wie wurde der Schatz gefunden?
Am 06. März 1995 wurden auf dem Grundstück Wollweberstraße 42 die Reste des spätgotischen Kellers (14./15. Jahrhundert) eines etwa 10 Meter breiten und 16 Meter langen Hauses ausgegraben. Beim Freilegen einer mit Bauschutt verfüllten Wandnische in der Ostmauer kam das Fragment eines Holzkästchens in Form einer braunen, humosen Verfärbung zum Vorschein. Dieses befand sich in einer, nachträglich in eine Feuerschutzwand gebrochenen Nische. Der Keller war mit Schutt aufgefüllt. Nachdem mehrere Feldsteine entfernt waren, wurde der Hort sichtbar. Zunächst etwa 20 Münzen, zwei Silbelöffel und ein Federkielhalter. Stück für Stück wurde ein riesiger „Schatz“ freigelegt und geborgen. Das Kästchen hatte eine Grundfläche von 45 mal 20 Zentimetern und war noch in einer Höhe von 10 Zentimetern erhalten. Allerdings war es ursprünglich höher, sonst hätten nicht alle Teile des Schatzes darin Platz gefunden.
Woraus besteht der Hortfund?
Neben den 2579 Münzen bilden zwei reich verzierte Silberlöffel eine Besonderheit des Fundes. Auf ihrer Rückseite sind Namen ihrer vermutlichen Besitzer eingraviert, von denen sich einer, Jasper Wulf, sogar einordnen ließ: Sein Name ist am 3. Dezember 1610 auf der Braurolle eingetragen und weist ihn als Mitglied der Anklamer Brauzunft aus. Auch sein Todestag ist angegeben, der 12. April 1631. Der gefundene Federkielhalter war zu jener Zeit ein Bestandteil des Gürtelgehänges von Frauen. Das in Anklam gefundene Stück weist Spuren von Tinte auf, woraus ersichtlich wird, dass er tatsächlich als Federkielhalter und nicht, wie auch üblich, als Messerscheide genutzt wurde. Das Tragen eines solchen Utensils, sollte die Geschäftstätigkeit seiner (überwiegend weiblichen) Besitzerin anzeigen. Vier Wappenschilde aus Silber, die als Anhänger von Willkommpokalen dienten, gehören ebenfalls zum Fund. Bei Zunftsitzungen und Feiern im 17. und 18. Jahrhundert ging der gefüllte Willkommpokal von Hand zu Hand. An manchen dieser Gefäße haben Wandergesellen später eine Münze, einen Münzabguss oder ein Erinnerungstäfelchen mit ihrem Namen angebracht. Unsere vier Silberanhänger haben Blumenvasen als Zierelemente gemeinsam. Die weiteren Gravuren variieren stärker.
Neben diesen Objekten sind die gefundenen Utensilien der zeitgenössischen Kleidung von besonderem Interesse. Vergoldete Gürtelbleche und Verschlüsse, Buchstabenanhänger und Textilbesätze waren Symbole für den gesellschaftlichen Rang und Stand seiner Träger. Aber auch diese Feststellung macht die Antwort auf die Frage, wer den Schatz letztlich versteckte, leider nicht einfacher.
Wem gehört(e) der Schatz?
Die Frage nach dem Besitzer und Verbringer des Schatzes ist
untrennbar mit der nach dem Alter des Schatzes verbunden. Zwei
Befunde geben uns zusätzliche Hinweise: Zum Einen ist es die so
genannte „Schlussmünze“, die jüngste Münze des Fundes. Sie trägt
das Prägedatum 1629. Der Fund, kann folglich nicht vor dem Jahr
1629 versteckt worden sein. Die älteste gefundene Münze ist aus
dem 13. Jahrhundert.
Ferner ist die Zerstörung des Hauses im Jahre 1637 belegt. Das
ist die Zeit der wechselnden Besetzung und Zerstörung der Stadt
im 30-jährigen Krieg. Wohl bedingt durch die Kriegswirren bricht
in Anklam 1638 eine Seuche, „die Pest“ aus. Der Umfang und
Inhalt des Fundes lässt nicht auf eine Einzelperson, sondern auf
eine Gruppe wohlhabender Besitzer schließen, die möglicherweise
ihr Eigentum vor der Steuer- und Erpressungslast der Besatzer
bewahren wollten. Diese Überlegung vertritt auch Andrea Popp,
die Archäologin, die den Fund 1995 ausgegraben hat. Allerdings
stellt sich die Frage, warum keine dieser Personen das Versteck
in der Folgezeit aufgesucht und geräumt hat.
Aus dieser Tatsache resultiert die Theorie, dass es sich bei dem
Hort um Diebesgut handeln könnte. Vielleicht haben der Dieb oder
die Diebe ihre Beute, die sie in den Kriegswirren über Monate
„gesammelt“ haben, zur späteren Abholung verborgen. Die Gründe
warum der letztlich sorgfältig versteckte Schatz nicht mehr von
seinem Bewahrer geborgen wurde, werden wohl nie ganz geklärt
werden können. Ob Vertreibung, Tod durch die Pest bzw.
Kriegshandlungen oder andere Gründe eine Rolle spielten, lässt
sich heute nicht mehr ermitteln.
Was die Frage des heute rechtmäßigen Besitzers angeht, so regelt
dies das Denkmalschutzgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Denkmalschutz und Denkmalpflege ist Aufgabe des Landes, der
Landkreise und Gemeinden. Fachbehörde ist das Landesamt für
Kultur und Denkmalpflege in Schwerin. Im Gesetz ist auch die
Frage des Eigentums geregelt: „Bewegliche Denkmale, die
herrenlos sind oder die solange verborgen gewesen sind, dass ihr
Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der
Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie bei staatlichen
Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten [...] entdeckt
werden oder wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen
Wert haben.“. Der Schatz ist also Eigentum des Landes
Mecklenburg-Vorpommern.
Welchen Wert hat(te) der Schatz?
Diese häufig gestellte Frage ist nicht mit wenigen Worten sinnvoll zu beantworten. Einerseits besteht der Hortfund aus einer Ansammlung verschiedener Münzen und Währungen. Wenn man diese zusammen- bzw. umrechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass allein die Münzen des Schatzes einen Gesamtwert von etwa 270 Talern hatten. Einen genaueren Wert festzulegen, ist kaum möglich und wenig sinnvoll. Es gab zu viele regionale Unterschiede und Veränderungen, so dass auch für ihre Kaufkraft nur Schätzwerte für bestimmte Bereiche des Handelswesens und Alltags gemacht werden können. Hier einige Beispiele:
- Vergleicht man die Löhne verschiedener Handwerksberufe mit heutigen, so hatte ein Taler etwa einen Wert von 100 Euro.
- Der Rektor der Pasewalker Schule bekam 1581 34 Taler Gehalt plus Naturalien.
- 1581 bekam der Anklamer Henker 1 Taler für das Henken eines Verurteilten (selbstverständlich vom Verurteilten im Voraus zu zahlen).
- Vergleicht man die Kaufkraft im Bezug auf Waren, die wir heute noch kennen und die ähnlich auf dem Marktplatz einer mittelgroßen Hansestadt wie Anklam angeboten wurden, hatte der Taler eine Kaufkraft von vielleicht 10 Euro.
- 1569 mussten zwei Trunkenbolde eine Strafe von 16 Talern aufbringen, wegen einer Beleidigung. Offenbar wurden Beleidigungen in Anklam sehr vielstrenger geahndet als heute - mit direktem Nutzen für die Stadtkasse.
- In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 30-jährigen Krieges mussten fünf zu Anklam gehörende Gemeinden jährlich zusammen 140 Taler Landpacht plus Naturalien an die Stadt abgeben.
Damit ist der Schatz größer als die finanzielle Steuerlast von mehreren Gemeinden. Im ländlichen Raum spielte zudem der Umgang mit Geld eine untergeordnetere Rolle. Naturalien (Milch, Brot, Fleisch, Eier, Brennholz,...) dienten häufig direkt zur Bezahlung.
Warum aber konnte man überhaupt mit Münzen aus verschiedensten Ländern Europas und darüber hinaus in Anklam bezahlen?
Der Grund ist, dass der Nennwert der Münzen zunächst ihrem
tatsächlichen Silberwert entsprach. Dieser bietet nun eine
tatsächliche Möglichkeit der Umrechnung: Die Feinunze Silber (1
Taler) kostet heute etwa 17 US-$. Der Wert des Silbers allein
aus dem Münzfund beläuft sich also auf etwa 3000 Euro, abhängig
vom aktuellen Marktpreis.
Nicht mit diesem zu vergleichen ist natürlich der historische
Wert. Münzen sind keine Unikate, sondern in großer Stückzahl in
Umlauf gebracht worden. Dubletten einzelner Münzen aus dem
Münzschatz sind deshalb heute im Münzhandel für einige 10 oder
auch einige 1000 EUR zu erwerben.
Der eigentliche, der museale Wert des Schatzes aber besteht in
seinem Fundzusammenhang, in seiner Bedeutung für die Forschung
und als einmaliges Kulturgut und ist selbstverständlich in
heutiger Währung nicht zu ermessen.
ein Taler unter vielen: Der heilige Rupert
Die Prägungen auf dem Taler wurden nicht zufällig gewählt. Herrscher mit eigenem Familienwappen, Heilige oder bedeutende Persönlichkeiten sind Motiv der Münzprägungen. Eine schöne Münze des Hortfundes ist die Prägung des heiligen Rupert. Kaum ein anderer Heiliger ist im südostbayerischen Raum derart im Gedächtnis der Menschen verwurzelt, wie der erste Abt und Bischof von St. Peter zu Salzburg. Der Heilige Rupert wurde im 7. Jahrhundert als Missionar nach Bayern gesandt. Bis zu dieser Missionsreise war er Bischof von Worms. 696 kam er nach Salzburg, wo er noch im gleichen Jahr das älteste Kloster Österreichs, St. Peter gründete. Neben St. Peter gründete der Bischof auch die älteste deutsche Benediktinerinnenabtei, das Kloster auf dem Nonnberg. Der Bayernherzog schenkte dem Bischof zur Unterstützung auch die Salzquellen von Reichenhall. Rupert versuchte die reichen Salzvorkommen erschließen zu lassen, um die ökonomische Situation der Bevölkerung zu verbessern. Nach diesem Salz wurde auch die Befestigung auf dem Nonnberg und später die gesamte Siedlung benannt - Salzburg. Darum wird der Hl. Rupert auch oft als Gründer Salzburgs bezeichnet.
Die Anklamer Kontermünzen
Als Kontermarke bezeichnet man Markierungen, welche mit einem Stempel auf eine Münze geschlagen wurden, meist als Wappen, Zahlen oder Buchstaben. Solche Gegenstempelungen konnte eine Auf- oder Abwertung bzw. die Anerkennung des Wertes belegen. Im Mittelalter wurden dadurch fremde Geldsorten anerkannt oder ihr Umlaufwert festgelegt. Die Anklamer Kontermarken zeigen einen Teil des Anklamer Wappens, den Dreistrahl, mit dem die Werthaltigkeit fremder Münzen in der Zeit der Geldentwertung (Kipper- und Wipperzeit) festgestellt wurde. Die Stadt Anklam erhielt 1325 das Recht eigene Münzen zu prägen. 1428 schließen die Herzöge Kasimir V., Wartislaw IX. und Barnim VII. mit Stralsund, Stettin, Greifswald, Anklam und Demmin einen Vertrag über Münzprägung.
Der Münzschatz befindet sich als Dauerleihgabe des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege in der ständigen Ausstellung des Museums. Die Ausstellung wurde durch das Land Mecklenburg-Vorpommern gefördert.
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Anklamer Schätze
Der Anklamer Münzschatz - das Steintor und die Schätze der Backsteingotik: ein Blick auf die Stadt aus der Sicht des regionalgeschichtlichen Museums im Steintor in einem Filmportrait: